Es ist sehr leicht, dem Charme der nostalgischen Royal Enfield Motorräder zu erliegen. In meinem Fall aber beginnt die Sympathie mit der Marke bereits in den 60er Jahren, lange bevor ich überhaupt ein Motorrad fahren darf. In alten Motorrad-Zeitschriften aus den 50ern lese ich Berichte und Tests der damals noch rein englischen Motorräder, und die klassischen Maschinen gefallen mir ausgesprochen gut. Nur sind das in Deutschland äußerst rare Exoten und es vergehen viele, viele Jahre, bis ich zum ersten mal eine Royal Enfield leibhaftig vor mir habe. Und es sollen noch mehr Jahre vergehen, bis ich meine erste eigene Royal Enfield ankicken darf.
Time passes …..
Nun vergehen die Jahre, es folgen nach den Mopeds die ersten eigenen Motorräder, irgendwann stehe ich zum ersten mal vor einer Enfield. In dieser Zeit wird aus der britischen Marke Royal Enfield die indische Marke Enfield, später Enfield India und noch später wieder Royal Enfield. Jedes mal, wenn ich auf so ein Motorrad stoße, erfreue ich mich daran und erinnere mich an diese alte Ausgabe von „Das Motorrad“.
Etwa um das Jahr 2008 herum wird es dann ernst: Auf einem privaten Motorradtreffen bei meinem damaligen Nachbarn Egon taucht Eichy aus Oberursel (RIP, alter Freund) mit seiner wunderschönen 500er Bullet auf. Ich werde zu einer längeren Probefahrt gedrängt, und danach ist es dann tatsächlich um mich geschehen. Dennoch dauert es weitere zwei Jahre, bis ich durch eine Anzeige im Enfield-Forum auf ein Angebot nur 8 km von meinem Wohnort entfernt stolpere. Nach kurzem E-Mail und Telefongeplänkel stehe ich dann im August 2010 vor einer grauen Enfield in Oberohmen.
Es handelt sich um eine 1995er Enfield Bullet in Athena-Gray, und sie steht wie eine indische Prinzessin in überirdischer Schönheit vor mir. Bei den Gesprächen mit dem Verkäufer und seinen Kumpels lerne ich nebenbei eine sehr sympathische Schraubertruppe kennen. Und, oh Überraschung, nach kurzem Gespräch, längerer Probefahrt und ein wenig Feilschen gehört die Enfield mir.
Einen Tag später hole ich die Bullet ab. Es folgen die ersten Fahrten, ein paar kleine optische Modifikationen und eine Menge an unglaublichem Fahrspaß. Der herrliche klassische Langhuber ist ein Traum.
Im nächsten Frühjahr aber beginnt die Enfield zu zicken. Schlechtes Anspringen, extrem starkes Zurückschlagen beim Antreten, Aussetzer, Leistungsverlust – es ist einfach zum Haare raufen. Nach einem Jahr, in dem ich der Allüren der indischen Diva nicht Herr werde, verkaufe ich das Motorrad an einen guten Kollegen. Allerdings wird der Verkauf dadurch gefördert, dass ich zu dieser Zeit einen sehr großen Fuhrpark mein eigen nenne, der meine gesamte Freizeit erfordert. Und da ist für eine zickende Lady leider keine Zeit. Dennoch: Bereits wenige Monate später bereue ich den Verkauf schon wieder. Aber weg ist weg – zunächst jedenfalls.
More time passes …..
Und wieder ziehen die Jahre vorbei, Jahre, in denen ich erneut neue Motorräder kennen lerne und erfahre. Die Reue aber über den Verkauf meiner Enfield No. 1 bleibt und sitzt wie ein Stachel in meinem Herzen. Und so kann es nicht wirklich überraschen, dass ich im Juni 2016 erneut zu einer Einfield komme, diesmal gar zu einer Royal Enfield: Die Inder haben mittlerweile die Namensrechte für das „Royal“ bekommen. Aus der Chopper-Schmiede Wannabe Choppers rette ich eine schwarze Royal Enfield Bullet 500ES vor einem grausamen Schicksal.
Auch bei meiner No. 2 beginne ich schon am ersten Tag mit leichten Umbauten. Gefahren wird allerdings sofort und der Fahrspaß ist prompt wieder da. Mit dieser Maschine habe ich deutlich mehr Glück als mit der grauen No. 1. In kurzer Zeit habe ich die ersten Kilometer gefahren, dabei zwei Enfield-Treffen besucht und jede Menge Fahrspaß pur erlebt. Insgesamt erscheint diese Maschine wesentlich besser verarbeitet zu sein als mein vorheriges Basismodell. Vielleicht bin ich aber auch erst jetzt bereit für eine Enfield. Dieser Gedanke gefällt mir, und er führt dazu, daß in meinem Kopf ein Gedanke hoch kommt, der immer klarere Formen annimmt: Ich werde meine No. 1 zurück holen und die letzten Jahre meines Motorradlebens (fast) ausschließlich mit indischen Motorrädern verbringen.
Und dann laufen die Dinge so, wie sie sollen. Marcus, der damals meine graue Enfield gekauft und auch gezähmt hat, erfährt von meinen Gedanken. Er hat auch Pläne, ein größeres Motorrad zu kaufen und so sind wir ruckzuck beieinander. Anfang 2017 habe ich meine No. 1 wieder. Sie hat sich unter Marcus Händen ein wenig verändert, was ihr recht gut zu Gesicht steht. Dennoch kann ich es auch hier nicht lassen und baue noch vor den ersten Fahrten einiges um – optisch wie technisch. Diesmal gelingt es mir, kleine technische Probleme wie eine nicht trennende Kupplung und die etwas magere Einstellung schnell zu beheben. Nach erfolgreicher TÜV-Prüfung stehen mir dann ab März 2017 beide Enfields zur Verfügung. Jetzt habe ich also mit No. 1 eine klassische Viergang-Enfield mit Rechtsschaltung und mit No. 2 eine linksgeschaltete Fünfgang mit elektrischem Anlasser.
So ähnlich sich die beiden Bullets zwangsläufig sind, so unterschiedlich verhalten sie sich im Fahrbetrieb. Durch das rechtsgeschaltete Albion-Getriebe fährt sich No. 1 klassisch wie ein alter Engländer. Das Getriebe mit seinen langen Schaltwegen will nachdrücklich behandelt werden und überrascht auch schon einmal mit einem Leerlauf zwischen den Gängen.
Dagegen lässt sich das linksgeschaltete Fünfganggetriebe von No. 2 beinahe japanisch leicht schalten und die Gänge flutschen regelrecht hinein. Beides hat aber seinen Reiz und so komme ich mit zwei sehr ähnlichen Enfields auf völlig unterschiedliche Fahrerlebnisse.
Im ersten Jahr mit den beiden Inderinnen nutze ich die graue No. 1 tatsächlich häufiger als die modernere No. 2 – das überrascht mich selber. Zusammen erreiche ich deutlich über 10.000 Kilometer im Jahr. Dabei bin ich einmal mit No. 1 liegen geblieben, was sich aber recht einfach unterwegs beheben ließ. Mit No. 2 gab es überhaupt keine Pannen und Ausfälle. Gut möglich also, dass ich jetzt nach langer Reise mein Ziel in Sachen Motorrädern erreicht habe. Richtig gut wäre jetzt nur noch ein Gespann auf Enfield-Basis – aber wie ich erleben durfte, erfüllen die indischen Gottheiten ja manchmal und ganz überraschend auch seltsame Wünsche.